Pauls Geschichte

(Name geändert)

Mein Name ist *Paul*....ich bin 44 Jahre alt und lebe in Stuttgart. Die ersten Jahre meiner Kindheit verbrachte ich am Niederrhein und ich komme aus einer gemischt konfessionellen Familie. Meine Großmutter gehörte zu einer Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde in einem kleinen Dorf namens Issum, dem einen oder anderen vielleicht bekannt durch das Altbier der Fa. Diebels. Dort lernte ich Jesus kennen und ich lies mich taufen und ich machte dort meine ersten Erfahrungen im Christsein.

Als Jugendlicher kam ich in eine freie Gemeinde in Kevelaer, dort war ich aktiv in der Jugendgruppe und ich freundete mich mit dem Jugendleiter der Gemeinde, S., an, ausgebildet in der Bibelschule W. Diesen Namen werde ich nie mehr vergessen, denn er versuchte mich mit radikalen fundamentalistischen Thesen zu indoktrinieren, was ihm dann auch gelang. Meinen Glauben wollte ich leben und mein ganzes Leben in den Dienst der Sache Jesu stellen...leider gab es einen Makel in meinem Leben...ich fühlte mich zu Männern hingezogen und ich musste mir eingestehen ich bin schwul. Nicht eben leicht in einem christlichen Umfeld, ich öffnete mich S., bat um Gebet und Heilung...drei Tage später wusste es die Jugendgruppe, fünf Tage später die Gemeinde, ich war 17 Jahre alt, dann ging es erst richtig los, die Ältesten kamen, ab auf die Knie zum Gebet, dann der Pastor, ab auf die Knie zum Gebet, nichts half, dann verließ ich frustriert die Gemeinde, sie machten mir mein coming out, ich verlor dort meinen Glauben und mein Gesicht, man sagte mir, meine Bekehrung sei nie echt gewesen, denn sonnst hätte Gott mich befreit.

Danach verschlug es mich in eine Gemeinde nach Duisburg unter der Leitung eines H., ich verschwieg meinen Makel, ich wollte meinen Glauben wieder, Frieden mit Jesus haben und an mir arbeiten. In der Gemeinde stürzte ich mich in die Arbeit und hatte auf dem Aufstiegstreppchen der charismatischen Seilschaften Erfolg. Dort erlebte ich die Gleichsetzung des Wortes des Leiters mit der des Wortes Gottes, jeden Tag die gleichen Erweckungsphrasen, Geldsammelaktionen, usw, als ich dann sagte ich mache das nicht mehr so mit, ich habe dabei ein schlechtes Gefühl, war ich von einem Dämon der Rebellion besessen, den man mir versuchte auszutreiben. Ich bekam Angst und verließ die Gemeinde im Ruhrgebiet.

Einige Zeit später kam ich durch einen Freund der in einem sozialen Dienst arbeitete in einen charismatischen Hauskreis einer Familie in Leverkusen. Dort stellte man bei mir fest, ich sei vom Dämon der Homosexualität besessen, dieser wurde mir dann in Marathonexorzismen ausgetrieben. Wenn ich aber mein Geld in die Sache des Herrn geben würde, dann würde mich dieser Geist verlassen und wäre befreit. Ich war 20 Jahre alt, dumm und naiv ich zahlte und begab mich in die Abhängigkeit dieser Gemeinschaft die von der Prophetin K. geleitet wurde, ich lobpreiste, betete gab mehr als meinen zehnten, es war nie genug...ich verleugnete meine sexuelle Neigung und vor allem mich selbst. Nach intensiver Seelsorge im charismatischen Spektrum, in der man mir beibrachte ich sei von Satan verführt, Gott hat sich von mir abgewendet, diversen Bibelstellen, die bekannt sein dürften, war der Leidensdruck so groß geworden das ich mich in diesem Hauskreis zu meiner Homosexualität bekannte und rausflog...mir blieb nur die Flucht nach vorne.

Ich liebte Jesus und seine Botschaft, aber ich war nicht für ihn gemacht, so schien es mir, ich war einfach nicht gut genug, ich entschloss mich mein Leben noch mehr hinzugeben, ich konvertierte und wurde katholisch...trat in den Franziskanerorden ein und ich hatte dort eine sehr glückliche Zeit, ich lebte zölibatär. Wie ich sagte eine Flucht nach vorne, nach vielen Tränen erkannte ich eine Flucht ist nicht besser wenn sie fromm ist, mein Sein holte mich ein und ich trat einige Zeit später wieder aus, begann zu studieren, ich beschäftigte mich mit Psychologie und Theologie....

Heute, 20 Jahre später, schmunzle ich schon über meine Erfahrungen, es hat lange gebraucht sie zu verarbeiten, mein Glaube an Gott blieb nicht auf der Strecke, mein Glaube an Jesus schon...ich gebe keinem dafür die Schuld, denn hier gibt es keine, jedoch erkenne ich in meiner Biografie den Machtmissbrauch durch geistliche Leiterschaft, vergeben kann ich das alles mit dem Abstand der Jahre, vergessen wohl nie.