Erfahrungen mit einem Missionswerk in Lüdenscheid*

Nach einem chaotischen Leben von Drogen, Missbrauch, Okultismus fand ich als Teenager zu Jesus Christus. Von Freunden wurde ich an ein christliches Missionswerk in Lüdenscheid vermittelt. Dort landete ich einem Haus, in dem ich für ca. ein Jahr eine Drogentherapie absolvierte. Diese Zeit erlebte ich als wertvoll und befreiend. Das Ziel, eine Grundlage für das normale Leben zu schaffen war erreicht. Noch in meiner Nachsorgezeit begann ich meine Ausbildung als Erzieher und zog bald darauf in eine der Wohngemeinschaften des Werkes. Die Ausbildung habe ich erfolgreich beendet und fand bald darauf auch eine Teilzeitstelle. Wo während der Ausbildung noch Platz für mich war, wurde dieser jetzt durch die neu gewonnene Zeit schnell für die missonarischen Dienste des Werkes in Anspruch genommen. Generell war das Leben in den Wohngemeinschaften sehr eng. Es fing mit Andachten am Morgen, teilweise zu sehr früher Stunde und egal wie die Nacht war, an und ging über gemeinsame Mahlzeiten mit Anwesenheitspflicht, teilweise auch Abendessen, welches eine feste Struktur war. Auch war es in den Wohngemeinschaften verboten sognannte säkulare Musik (also nicht christlich) zu hören. Auch Filme mit Okulten-, Gewalt- oder angedeuteten Sexszenen waren nicht erlaubt. Auch wurde geschaut, welche Bücher gelesen wurden. Auch konnte es sein, dass von der Wohngemeinschafts-Leitung Zimmer-Begehungen gemacht wurden, danach wurde man angehalten sein Zimmer aufzuräumen. Es wurde argumentiert: "Wenn du schon dein Zimmer nicht in Ordnung halten kannst, wie willst du dann ein ordentliches Leben für Gott leben", oder "Wie willst du für Gott arbeiten, wenn es in deinem Zimmer nicht sauber ist." Es wurde auf Kleidungsstil, Frisur geachtet und, wenn es zu ungewöhnlich war, hieß es: "Du hängst noch zu sehr an deinem alten Leben". Das abendliche Weggehen in Bars, Discos, Kneipen etc. war ebenfalls untersagt. Generell war es mit Kontakten nach außen schwierig. Die Zeit, die nicht für die Arbeit in der "Welt" drauf ging, wurde von der Gemeinschaft eingenommen. WG Meetings, Mitarbeitertreffen der jeweiligen Dienste, in denen man war, Gruppenmitarbeitertreffen, Gesamttreffen des Missionswerkes, Gottesdienste, Andachten. Um Langeweile brauchte man sich keine Sorge machen. Innerhalb von ein paar Jahre schaffte ich es mich in der Hierarchie nach oben zu arbeiten. Bis heute ist die Gemeinschaft stark Leiter-orientiert in Person von W. an der Spitze. W. ist ein bekannter charismatischer Prediger und Evangelist. Ich habe Gruppenleitungen bekommen, durfte an Projekten für Teenager mitarbeiten, und habe verschiedene administrative Aufgaben hauptverantwortlich übernommen. Die ganze Zeit über herrschte der Druck, es ja richtig zu machen. Denn man wollte ja ein richtig gutes Leben für Gott führen. Die Leiter und Vorgesetzten wussten natürlich, wie das richtig geht. Den sie hatten ja die ultimative Offenbarung über Gott. Man selbst wurde dann nur in seinem Christsein bestärkt, wenn die "Eindrücke" und Offenbarungen mit den Richtlinien der Gemeinschaft konform waren. Wenn die nicht der Fall war, lag man falsch, war nicht im Geist und auch kein wirklicher Christ. Bis in die Grundfesten hinein wurde man dann in Frage gestellt. Weg wollte man ja nicht, denn außerhalb mit Gott leben? Unmöglich. Denn du bist in einer Elite. Sei froh, dass du hier sein darfst. Je weiter ich aufstieg , umso mehr spürte ich diesen Druck, und wurde auch zu jemanden, der diesen Druck ausübte. Es wurde im Kreise der Verantwortlichen über die Mitarbeiter gesprochen. Alles sehr bewertend und abwertend. "Der ist Schwach". "Nein, das kann der nicht, weil der macht nicht regelmäßig stille Zeit...", etc. Auch merkte ich immer mehr, wie sehr W. omnipresent war, und der eigentliche Drahtzieher hinter ALLEM, was im Missionswerk lief. Es gab Mitarbeiter-Meetings, in denen der Leiter mit W. in SMS-Kontakt stand, ihm das Beschlossene mitteilte, und wenn W. damit nicht einverstanden war, es auch umgehend revidiert werden musste. Die Schlaufe wurde immer enger. Aber 'rauszugehen war keine Option. Wohin auch? Zurück zu den Drogen? Nein! Aber etwas anderes hatte ich nicht. Ich lernte in der Gemeinschaft nach ein paar Jahren die Person kennen, mit der ich heute seit einiger Zeit glücklich verheiratet bin. Doch diese Partnerschaft wurde von W. nicht gut geheißen. Wir hätten beide einen zu kaputten Hintergrund, das würde nicht passen. Mein Platz sei in der Gemeinschaft, der der anderen Person nicht. Da Partnerschaften bei der Bezugsperson beantragt und genehmigt werden mussten, sollte es eigentlich so sein, dass wir gar nicht ein Paar werden sollten. Aber da unsere jeweilgen Bezugspersonen nichts von dieser Information von W. wussten, waren es wir dann doch. Da das Kind schon in den Brunnen gefallen war, wurde natürlich für uns gebetet und es wurden Leiter auf uns angesetzt, die uns auseinander manipulieren sollten. Diese Informationen habe ich von Personen und guten Freunden von mir, die zu diesem Zeitpunkt selbst in dem Leiterkreis saßen. Es begann ein erbitterter Kampf um meine Seele. Oft kamen Personen zu mir. Stellten mich und meine Rolle in der Beziehung in Frage. Ich würde ja nur ferngesteuert, mein Dienst sollte zuerst Gott sein nicht der Partner. Regelmäßig kamen andere und hatten das Reden Gottes, dass es nicht das richtige sei. Aber wir wollten zusammen sein. Da ich mich aber schon so etabliert hatte, konnte man mich nicht einfach kicken. Man brauchte mich. Wir wussten beide, dass wir füreinander bestimmt sind, aber wollten beide nicht gehen, da wir in dem System gefangen waren. Wir heirateten trotz Wiedersprüche.Nach einigen Jahren fand ein Ältestenwechsel statt. In dieser Zeit wurden viele aus der Gemeinschaft geschmissen, die nicht konform mit der neuen Leitung gingen. Es waren Mitarbeiter in Vollzeit (das hieß Kost und Logie frei + 65 Euro Taschengeld im Monat) über 30 Jahre, die Missionsstationen im Außland pioniert und aufgebaut hatten, die ohne ein Dankeschön entlassen wurden. W. wurde zum Apostel ernannt. Kritik gegen ihn oder die Gemeinschaft wurde gestoppt mit den Argumenten "Tastet den Gesalbten des Herrn nicht an" oder "Spucke nicht in die Quelle, die dich genährt hat". Es gab schon vorher extrem wenig Raum, kritische Fragen zu besprechen, so war es jetzt unmöglich. Alles wurde im Keim erstickt, und wenn man mit wollte, so wurde ungefragter Gehorsam und Vertrauen zu den Leitern erwartet. „Entweder geht ihr mit, oder ihr geht“. In der Zeit wurde sehr viel gelogen von den Leitern. Es wurden Tatsachen wie Burnout, andere Krankheiten oder angebliche Aussagen in die Runde geworfen, die sich auf Nachfrage der betroffenen als unwahr herausstellten. Es wurde ein sehr hoher Standard an geistlichem Leben erwartet. Eine angebliche neue Welle des Heiligen Geistes war da. Es bestand die Möglichkeit über ein offenes Mikrofon in Meetings seine Eindrücke weiter zu geben. Wenn diese aber nicht in den Faden der Leitung passte, wurde man sehr schnell damit konfrontiert, oft öffentlich, dass die nicht richtig war. Es käme aus der Seele. Schlimmstenfalls wurde einem einfach das Mikrofon aus der Hand genommen. In aller Öffentlichkeit bloßgestellt. Über 150 Leute sind in der Zeit raus aus dem Missionswerk.Es dauerte noch eine Weile, aber inzwischen sind wir raus. Bis heute leiden wir unter den Folgen des Missbrauchs. Unser Vertrauen in Gott und Christenmenschen ist erheblich geschädigt. In einer kleinen freien Gemeinde versuchen wir gerade wieder auf die Füße zu kommen. Für mich und viele andere wurde dieser Ort der angeblichen Hoffnung zu einer Qual. Man wurde entwertet, ausgenommen und am Ende ausgespuckt. Ich hoffe, dass sich einige hier wiederfinden oder, was ich noch mehr hoffe, sich warnen lassen. Diese Systeme sind hochgefährlich und bringen dich an den Rand deiner Existenz. Deine Seele und dein Herz werden sterben und, wenn Gott kein Wunder tut, wirst du bist zu deinem Lebensende an den Folgen leiden.
* Anonymisiert. Die Namen der Beteiligten sind cleansed.de bekannt.